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Montag, 18. Februar 2013

EINS.


Unheilsschwanger

Oder wie die Nicht-Jungfrau zum Kinde kam

 

Vor gut einem dreiviertel Jahr hat Jette einen Test gemacht. Eine Art Schwangerschaftstest, aber nein, es ging nicht um so ein kleines Würmchen, das dann mal zum Menschen werden will. Um die Bestätigung, dass sich da etwas bei ihr eingenistet hatte hingegen, ging es schon. Also schwanger war sie. Nur eben nicht im klassischen Sinne. Sondern unheilsschwanger. Und das, was sich da eingenistet hatte, sollte später zum großen, mächtigen, schwarzen Untier werden (bzw. vielleicht ist das vermeintliche Untier gar nicht so ein Untier, aber dazu später mehr). Der Test war also positiv. Diagnose: brutusschwanger.

Während viele Frauen sich wohl freuen, wenn sie Nachwuchs erwarten, so war Jette doch zutiefst erschrocken und verstört. Wie man vielleicht, wenn man ein Kind erwartet, auch spürt, dass da etwas in einem wächst und gedeiht, so konnte auch Jette die Anzeichen an sich beobachten. Aber wie so manch eine sich ihre Schwangerschaft nicht eingesteht und diese so lange und so gut es geht sich selbst gegenüber verheimlicht, so hat es auch Jette mit ihrem schwarzen Keimling getan.

Aber irgendwann wächst der symbolische Bauch nun auf so ein Maß heran, dass sich nichts mehr leugnen und schönreden lässt.

So ist das nun auch mit der Brutusschwangerschaft.

Brutus brauchte länger als neun Monate, um zu einer ordentlichen Größe heranzuwachsen, sich bemerkbar zu machen und rauszuwollen. Die Tragzeit für einen Brutus ist lang.

Mit dem unheilsschwanger Werden das passiert nicht ganz so schnell, wie das mit dem normalen schwanger Werden. Bei letzterem sind die Fakten nicht sonderlich schwer zu erfassen. Und auch die Anzahl der beteiligten Personen ist ziemlich eindeutig. Bei der Brutusschwangerschaft ist das deutlich komplexer. Zwischen beiden „Schwangerschaften“ gibt es allerdings Parallelen: Wie auch bei einer ungeplanten Schwangerschaft kommt Jette zu Brutus wie die (Jung)Frau zum Kinde: durch Unachtsamkeit. Durch das Missachten wesentlicher Dinge.

Und Brutus fackelt nicht lange, einmal ein schönes Plätzchen gefunden, bleibt er gern.

Zuerst mag man unter Schock stehen, wenn man bemerkt, dass man einen Brutus in sich trägt. Klar, wer will das schon? War ja auch nicht geplant. Und  zwischen Brutus und einem Baby gibt es auch eine Parallele: frau „wird sie nicht einfach so wieder los“. Ist das Kind erst einmal ins Bettchen gefallen, gibt es kein Zurück. Aufzucht und Erziehung sind unabdingbar. Da muss sie dann unweigerlich durch!

Das Aufziehen von Nachwuchs jeglicher Art kostet bekanntlich Kraft und Zeit und Geld. Während man allerdings bei einem Menschenkind bemüht ist, es nach bestem Wissen und Gewissen wachsen und gedeihen  zu lassen und groß und stark zu machen, so ist das Ziel bei Brutus, ihn kleiner werden zu lassen. Nach und nach. Kleinziehen also. Gegensätzlich zum Großziehen. Abziehen könnte man auch sagen. Als Kontrast zu Aufziehen. Aber herab zieht Brutus selbst schon zur Genüge. Da muss man als Frau und Lebensschenkerin nicht noch nachhelfen.

Mit Brutus und den Kindern das ist so eine Sache. Zuerst einmal mag man denken „Ohjee“. Da hat man plötzlich eine riesengroße Aufgabe und Verantwortung vor sich liegen. Und ist dem Gedanken gar nicht zugeneigt. Und dem Erscheinungsbild des Nachwuchses vielleicht auch nicht sonderlich.

Bei Brutus ist das so: anfangs sieht man etwas Schwarzes, Unheimliches, bedrohlich Wirkendes. Schaut man genauer hin, wird man jedoch gewahr, dass dieses furchtbar schnell wachsende Geschöpf gar nicht so unheimlich ist. Nein, sogar fast niedlich und hübsch.

Jettes Brutus sieht auch gar nicht furchterregend aus. Der Kopf ist der eines schwarzen Stinktieres. Putzige  dunkle Augen hat er, der Brutus. Und große Puschelohren. Und natürlich ist er riesig. Viel größer als Jette. Als sie ihn das erste Mal richtig gesehen hat, war sie verwundert über den zahmen Anblick des vermeintlichen Untieres. Und noch etwas hat Jette erstaunt: das böse Vieh wollte ihr gar nichts Böses! Stattdessen hat es sich warm und schützend um sie gelegt.

Jette hat das erst nicht verstanden. Brutus war doch ungewollt und unerwünscht und ihr Feind. Er hat ihr jahrelang so viele unerklärbare Beschwerden verursacht und jetzt nimmt er ihr ganzes Leben ein, erstarkt wie er über die Zeit ist, und stellt alles auf den Kopf. Jette war deshalb wütend und hilflos und verunsichert.

Aber nun, da sie (im wahrsten Sinne des Wortes)das echte Gesicht von Brutus gesehen hat, nimmt sie eine andere Haltung ein:

Richtig. Brutus will ihr nichts Böses.

Brutus ermahnt Jette nur mit Nachdruck, dass sie sich jetzt mal richtig um sich selbst kümmern muss. Nicht immer nur um die anderen. Nicht immer allen alles rechtmachen wollen darf.

Brutus zeigt Jette auf, was in der Vergangenheit so schief gelaufen ist.

Erklärt ihr, wie er sich bei ihr einnisten konnte. Ja, eben durch die Unnachgiebigkeit und Unachtsamkeit mit sich selbst. Aber eben auch durch viele andere Leute und Faktoren, die Brutus bei Jette ein gemütliches Nest bereitet haben.

Brutus ist gar nicht böse und gemein, merkt Jette irgendwann.

Brutus ist Jettes Notbremse.

Ganz schön klug von ihrem Körper, dass er Brutus bei Jette einziehen lässt, damit die endlich mal zur Ordnung gerufen wird. „Hallo, kümmer dich jetzt um mich!“, lässt er durch Brutus übermitteln.

Und Brutus ist zu bändigen. Durch Fürsorge und Streicheleinheiten lässt er sich kleinziehen. Langsam vielleicht, ganz langsam. Aber Jette merkt, Brutus ist nicht mehr so bissig wie am Anfang. Die beiden haben sich nahezu angefreundet. Jette hat akzeptiert, dass sie eine Zeit ihres Lebens mit Brutus verbringen muss. Weil sie früher eben zu unvorsichtig war.

Wie auch bei menschlichem Nachwuchs ist klar: bis die lieben Kleinen groß, bzw. der böse Große klein geworden ist, dauert es. Aber irgendwann sind die Kinder aus dem Haus und die Mama ist dann wieder frei und kann sich selbst neu definieren, weil sie durch die ganzen Jahre eine Menge gelernt hat. Und noch so einen hat das Bewusstsein über die „Schwangerschaft“ – Jette versteht sich endlich selbst. All die Jahre diese Erschöpfung. Dieses Hardcore-Schlafen nach einer unglaublich anstrengenden Woche. Die fehlende Kraft und Not, immer noch alles zu schaffen. Am besten noch mit Leichtigkeit und überragendem Erfolg – schaffen die anderen ja auch alles parallel! Und das schlimmste: die schrägen, anklagenden Blicke. „Warum verschläft sie denn schon wieder den ganzen Tag?!“, „Warum spielst du denn jetzt nicht mit mir?“, „Was machst du die ganzen Ferien über denn? Du hast doch nichts zu tun! Immer hast du Zeit!“. All das Anklagen, all die Anschuldigungen, all die Vorwürfe, die haben jetzt keine Macht mehr. Denn Jette muss sich jetzt nicht mehr falsch und schuldig fühlen. Endlich weiß sie, warum sie immer so kaputt war. So ausgebrannt. Denn bei der Diagnose Brutus ist das alles ganz „normal“! Und auch, wenn ihr Umfeld das vielleicht nicht versteht, Jette kann es nun endlich. Keine Vorwürfe mehr wegen dem großen Wunsch nach Entspannung und Schlaf. Keine fehlende Antwort auf die Frage, was sie denn die ganzen Ferien über mache, mehr: Jette muss sich um die (Un)Tierpflege kümmern! Spazieren gehen, erziehen, füttern, kraulen, schmusen, schlafen. Das beansprucht einen ganz schön. Und das müssten ja auch die letzten Idioten und Unverständigen nachvollziehen können! (also erzählt sie vielleicht, wenn sie gar nicht weiß, wie sie sich anders erklären soll, von einem neuen, anstrengenden Haustier, das ihre ganze Kraft frisst. Das würde jeder verstehen und gelogen wäre es auch nur ein bisschen.)

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